Am Fuße des Tals

Nick wählte die einzige Nummer in seinem Telefon. Es klingelte lange. Dann kam ein „Ha?“
„Ich höre die örtlichen Behörden sind sehr beflissen“, sagte Nick trocken.
„Ah! Sie haben das Medium Fernsehen für sich entdeckt, immerhin ein Anfang. Vielleicht kann ich sie auch für das Netz begeistern. Da ist es gerade noch viel spannender.“
„Reden Sie nicht mit mir, als wäre ich aus dem letzten Jahrhundert.“
„Ein Mann, der nicht einmal den Brexit mitbekommen hat, sollte hier den Mund wirklich nicht zu voll nehmen, Green. Ich hoffe, Sie haben wenigstens die Basics der Flüchtlingskrise mitbekommen. Wäre auch nicht ganz unwichtig für Ihren Fall, denke ich“
Refugee crisis,… Nick hatte den Verkäufer in seinem Tante Emma Laden davon reden hören. Offenbar sollte Schottland bald von Horden gewaltbereiter Muslimen überrannt werden, die dann alle seine Frau vergewaltigten. Nick Grün hatte Mrs McFuller einmal dabei beobachtet, wie sie mit der nackten Hand eine Schmeißfliege erschlug und sich den Kadaver an ihrem Schnurrbart abwischte (Was bisher geschah).

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Jetzt siehst du mich ganz klein

Die Pressekonferenz wird von einem aufgeregten Nachrichtensprecher abgelöst, der noch einmal wiederholt, was Klaas Weniger wenige  Sekunden vorher in die Kamera gesagt hat. Dann kommt eine kurze Unterbrechung – für den Wetterbericht. Es soll Regen geben. Nick Grün wirft einen Fünf-Euro-Schein auf den Tresen, taumelt aus dem Café und wandert ziellos über die Strandpromenade der französischen Kleinstadt. Er bleibt an einer Bank stehen, kramt in seiner Manteltasche nach Tabak, dreht, kramt nach einem Feuerzeug, zündet zitternd an, nimmt einen Zug und setzt sich hin. Die Stimme von Klaas Weniger aus dem Fernseher hallt in seinem Kopf wieder.

„…Thea König wurde uns genommen. Die Heldin des deutschen Films und meine Verlobte ist tot. Nach meinen Informationen wurde sie zuletzt in Schottland gesehen. Dort besuchte sie einen ehemaligen Freund. Nick Grün, eine gescheiterte Figur aus ihrem früheren Leben, wird deshalb von den Behörden direkt mit dem Mord an Thea König in Verbindung gebracht…“

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Frühstück mit Klaas – und Thea

Mit einem leisen Plopp landete der halbgekaute Bissen Croissant in Nicks Kaffeetasse. Mit offenem Mund starrte der Krimiautor auf den Fernseher eines Cafés irgendwo an der Bretagneküste. Die Nachrichtensprecherin kündigte den spektakulärsten Vermisstenfall an, den Europa seit dem Tod von Lady Di erlebt hatte. Dann erschien Klaas Weniger. Sein graues Haar wehte ein wenig im Föhnwind, hinter ihm der blaue unschuldige See und die lieblich-grünen Berge. Klaas Weniger richtete einen besorgten Blick auf die unzähligen Journalisten. Er räusperte sich. Zig Mikrophone rückten näher. Klaas wich zurück, schien kurz eingeschüchtert, fasste sich wieder und begann zu reden. Konsterniert, sichtlich berührt, schilderte Weniger die Suche nach seiner besseren Hälfte, und was diese Frau, seine Schönheit, wie er sagte, für ihn bedeutet hatte. Es klang wie ein Nachruf. (für alle, die Klaas Weniger noch nicht kennen: Auf der anderen Seite des Sees und die ganze Vorgeschichte: Was bisher geschah).

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Überfahrt

Wellen schlugen gegen das Boot. Der Kanal schimmerte gespenstisch schön im Mondlicht. Nick Grün fröstelte in seinem Sommermantel. Und doch zog er es vor, draußen zu bleiben. Es war gar nicht so sehr der Gestank von altem Fisch, der ihn aus der engen Kajüte vertrieben hatte, mehr die stummen Blicke der Mannschaft. Sie wirkten nicht wirklich anklagend, auch nicht neugierig, eher ungläubig, teils, so meinte Grün, furchterfüllt. (Was bisher geschah)

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Auf der anderen Seite des Sees

Klaas Weniger putzte seine randlose Brille. Ruhig, gründlich, als würde diese Brille und das seidene Einstecktuch seines Anzugs, mit dem er sie putzte, gerade die Welt bedeuten. Als gäbe es nichts wichtigeres. Vor allem nicht der Mann, der am anderen Ende seines Schreibtischs stand und schwitzte. Der wiederum versuchte sich gerade verzweifelt nicht daran zu erinnern, was nochmal mit dem Boten passierte, der schlechte Nachrichten für den König hatte. Die Pause war unerträglich für den Mann. Irgendwann wiederholte er, was er schon einmal gesagt hatte:

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Flucht

Die Blonde im Brautkleid streckte Nick ihre zarte blasse Hand entgegen. Sie öffnete den Mund. Als wollte sie irgendetwas sagen. Doch heraus kamen nur stille Luftblasen. Ihr Gesicht verkrampfte sich. Die Hand reckte sich nochmal in Nicks Richtung. Und nochmal. Mit weit aufgerissenen Augen. Er blieb stehen wie zu Eis erstarrt. Eine unsichtbare Kraft zerrte das wunderschöne Mädchen in die Tiefe. Ihr hübsches Gesicht verschwamm mit dem dunklen, blutgetränkten Wasser. Übrig blieb Nicks Spiegelbild auf der Wasseroberfläche im Mondschein. Nur seine Augen waren anders. Zwei dunkle Höhlen so schwarz wie eine Sturmnacht im schottischen Hochland. Das Spiegelbild sagte: „Mors certa, ora incerta. Erinnere dich.“
„An was soll ich mich erinnern?“
„An alles du Idiot.“

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Hoffnung (1)

Jeder hatte einen Hebel. Bei Klaas Weniger war es Macht. Bei Nick war es Stolz. Und bei Sergeant Kerr – so korrupt und verkorkst er auch sein mochte – war es eine sonderbar verdrehte Form von Integrität. Die Art und Weise, wie er wenige Momente jedes Wort ausgespuckt hatte, gab Nick Grün eine letzte verzweifelte Hoffnung. (Wer jetzt erst einsteigt: Was bisher geschah). Auch wenn der Schotte keine Anstalten machte, auf seine letzte Bemerkung noch einmal einzugehen. Stattdessen stand er stöhnend auf, streifte seine Uniformjacke über und blickte über den See. „Where have you put the body, lad?“

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Sergeant Ulysses Kerr (1)

Der Polizist fläzte in einem hölzernen Gartenstuhl, hielt sein Gesicht mit geschlossenen Augen in die Morgensonne und seufzte blubbernd, als er Nick Grüns teuersten Whisky in seinem Mund hin und her fließen ließ. Seine Uniformjacke war offen, auch der Bierbauch, der in seinem weißen Hemd weit über die Stuhlkante ragte, schien die Sonne zu genießen. Nicke hatte gegenüber von ihm Platz genommen, und starrte über den See zu jener Stelle, wo er Thea Königs Leiche vermutete. Lange sagten beide nichts. Die Frühlingssonne hatte ein paar Vögel aufgeweckt, der See lag schwarz und Still umgeben von hellgrünen Hügeln. Ein leiser, warmer Wind ließ das Schilf flüstern.

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Der Anruf

„Nick Grün“, sagte Nick Grün. Stille am anderen Ende der Leitung. Dann eine bekannte Stimme. Nick hasste sie. Wenigstens klang sie nicht so aufgedreht fröhlich wie sonst.
„Nick, bist du das? Hier Klaas.“ Klang er überrascht?
„Klar, was dachtest du denn, wer dran ist. Die Polizei?“ (Für Neueinsteiger: Was bisher geschah)
War das ein Stocken, ein aufgeregtes Schnaufen? Oder doch nur ein krachen in der langen Leitung? „Nein, natürlich nicht. Es ist nur so lange her, alter Freund. Wieso sagst du sowas?“
„Weil die Polizei gerade bei mir ist.“
„Und da lassen die dich einfach ans Telefon gehen?“
Aha. „Wieso sollten sie das nicht tun?“
„Keine Ahnung, ich dachte nur… vergiss es. Ich hab ein paar harte Wochen hinter mir. Ist Thea bei dir?“ Und da war auch der Name, den er nie wieder hören wollte, den er selbst an diesem wohl schlimmsten und verrücktesten Vormittag seines Lebens vermieden hatte überhaupt zu denken. Thea. Seine Thea. Oder besser Klaas’ Thea. Thea, die jetzt in ihrem Brautkleid am Grund seines schottischen Sees lag.
„Nein. Warum?“
„Spiel keine Spielchen mit mir Nick. Hol sie bitte einfach ans Telefon.“
Nick starrte auf die beiden Whiskeygläser. Ein Abdruck schmaler, roter Lippen, kein Zweifel. Entweder er hatte gestern Nacht etwas Furchtbares getan, oder jemand anderes spielte hier.

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Grüns Geständnis (2)

„Bloody Hell“, sagte der Polizist.
„Ja“, sagte Nick Grün.
„Was zur gottverdammten Hölle hat das zu bedeuten?“
„Ich habe keine Ahnung“, gestand Nick. „Mir ist es auch gerade erst aufgefallen.“ Auch das war nicht gelogen. (Für alle Neueinsteiger: Was bisher geschah)
Der Bulle taxierte Nicks Gesichtsausdruck. Traurig, ratlos, offen. Wenigstens hatte er inzwischen eine Jeans an. Auch ein zerknittertes Hemd hatte Grün, seiner Schlamperei sei Dank, neben dem Sofa gefunden. Seine Haare waren, so gut es ging, zu einem Scheitel glattgestrichen. Das war das letzte, für das Nick sich Zeit genommen hatte, bevor der Polizist das Wohnzimmer erreichte. Hätte er lieber mal irgendein Bild auf den Kaminsims gestellt. Dabei hatte er es fast geschafft gehabt.

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