Als der Polizist das Wohnzimmer mit dem großen offenen Kamin erreichte, stieg ihm sofort ein markanter Geruch in die Nase. Ein Aroma, das er selbst nur zu oft genossen hatte, das ihm so vertraut war, wie der Geschmack der ersten milden Seeluft nach einem langen, kalten Winter. Zigarrenrauch. Ein Feuer knisterte im Kamin. Der Schriftsteller stand mit einer qualmenden Zigarre in der einen Hand am Kamin, und zerknüllte mit der anderen Papier, bevor es in die immer größer werdende Flamme warf. Hektisch, konzentriert, als ob es gerade die wichtigste Sache auf der Welt wäre. Was verbrannte der sonderbare Deutsche da? Was wollte er vertuschen?
Der Bulle stürzte auf Nick Grün zu. „Hören Sie sofort damit auf“, blaffte er in seinem rauen Schottisch. Der Schriftsteller wirbelte herum, stieß dabei gegen eine offene Flasche Rotwein, die jemand wenig umsichtig direkt an die Tischkante gestellt hatte. Die Flasche kippte auf den dicken Teppich spritzte über die Wand neben dem Kamin und entleerte sich gluckernd über den Stoff. Nick blickte unverwandt auf, sah den Sergeant an, als sähe er ihn zum ersten Mal. „Mit was aufhören? Feuer machen?“
„Geben Sie das her, jetzt sofort.“ Der Bulle riss Nick die verbleibenden Blätter aus der Hand. Sie waren mit einer Schreibmaschine beschrieben, am Rand hatte jemand handschriftlich Notizen hinzugefügt. Der Polizist überflog ein paar Seiten. „Das ist ja auf Deutsch“, murmelte er.
„Ah, die Auffassungsgabe eines Polizisten.“ Nick lächelte.
„Was ist das? Warum verbrennen Sie das so hastig?“
„Was glauben Sie? Das sind Teile meines Manuskripts. Und mir war kalt. Falls Sie es nicht mitbekommen haben, ich bin gerade aus einem See gestiegen. Und die Heizung scheint schon wieder ausgefallen zu sein.“
Jetzt tat Nick der Polizist fast leid. Verständnislos starrte er auf die Seiten, die lose auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet waren. Und dann ins Feuer. „Aber warum verbrennen Sie ihr Buch?“ Nick winkte ab. „Das ist Altpapier. Eine längst überholte Fassung. Ich benutze sie als Anzünder.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, griff Nick nach weiteren Blättern zerknüllte sie, warf sie ins Feuer und schickte ein paar kleinere Holzscheite hinterher.
Da ging er hin. Der Roman seines Lebens. Begonnen als Erstlingswerk vor zehn Jahren und seitdem, wie ein Gewicht auf den Schultern, das mit jedem Tag erdrückender wurde, mit sich herum geschleppt. Das Buch, wegen dem Grün sein Leben, seine Frau, seine mäßig erfolgreichen Krimis, einfach alles hingeschmissen hatte, und in diese alte Burg mitten im Nirgendwo gezogen war. Alles nur, um endlich zu beenden, was er vor zehn Jahren angefangen hatte. Das Buch über seine große Liebe, über ihr Kennenlernen in Regensburg, ihre gemeinsame Zeit, diese wenigen Sommertage in der alten, schönsten Stadt, über die Sinnfreiheit des Lebens und der Liebe, über Karriere, Ziellosigkeit. Es sollte der große Wurf werden. Das Leben abbilden in seiner reinsten Form. Nach Regensburg arbeitete Nick Grün drei Jahre daran. Bis zu ihrem Wiedersehen an diesem einen See am Rande der Alpen. Seitdem hatte Nick das Manuskript nicht mehr angefasst. Und auch die schottische Burg und absolute Einsamkeit hatte daran nichts ändern können. Im Gegenteil. Hier hatte er wirklich Zeit für das, was er am besten konnte, ganz ohne Ablenkung. Hier konnte er ausnahmslos trinken, rauchen, und, naja, trinken. Und sich mit jedem Tag weiter vom Leben verabschieden. Bis heute Morgen, als ihm seine Hauptfigur mit leeren Augen aus dem dunklen Wasser zuwinkte.
Seit ihrem Wiedersehen war weniger als eine halbe Stunde vergangen. Nick kam es vor wie Wochen. Verdünnt mit dem 1982er Mouton-Rothschild im Wert eines Kleinwagens sickerte ihr Blut durch den dicken alten Teppich zwischen Nicks Zehen, während das Feuer die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit in Rauch verwandelten. Es gab keine Abschrift, keine Word-Datei, nur dieses Manuskript. Nick packte wahllos weitere Blätter, überflog ein paar Zeilen. Bevor die sich die Blätter mit einem hübschen „Wuff“ in schwarze Asche verwandelten, konnte Nick noch einen Fetzen lesen. „Du rauchst zu viel“, sagte sie da gerade zu ihm, als würde sie neben ihm stehen. „Ja“, gestand der Roman-Nick, „ich weiß.“ Eine Träne drückte sich aus Nicks Auge, lief über seine Wange und verfing sich in Grüns ungepflegten Bart. Der Bulle bemerkte es nicht. Er starrte auf die Wand. Der blutige Smiley starrte grinsend zurück und steckte auch dem Polizisten die Zunge heraus. Verdammt.